Das
Gericht hat entschieden
Die mündlichen Verhandlungen
beim Verwaltungsgerichtshof (VGH) Kassel gegen die Umwandlung des Gewerbe- in
ein Industriegebiet am Standort der Fa. SCA Witzenhausen und gegen den Bau des Müllheizkraftwerkes
wurden von vielen Bürgern mit Interesse verfolgt. Denn nicht nur die Kläger
sind in Zukunft von den Auswirkungen des Vorhabens betroffen. Die
Verbrennungsanlage, die stündlich mit 35,6 t Spuckstoffen, brennbaren Abfällen
und Klärschlämmen befeuert werden wird, entlässt das 2,5-fache an Abgas gegenüber
dem jetzt mit Gas beheizten Kraftwerk. Den Bürgern wird der vorbehandelte Müll
als schadstoffentfrachtet verharmlosend dargestellt. In Wirklichkeit verlassen
aber auch krebserregende Stoffe wie Arsen, Cadmium, Nickel, Benzo(a)pyren u.a.
den Schornstein. Da sie schon bei der geringsten Dosis Krebs auslösen können,
gibt es in der Technischen Anleitung (TA) Luft für den Menschen keine
Grenzwerte. Der Länderausschuss für Immissionsschutz (LAI) gibt hier lediglich
Orientierungswerte an.
Mit der Bebauungsplanänderung
wurde die bauplanungsrechtliche Grundlage für die Müllverbrennung geschaffen.
In der mündlichen Verhandlung kamen die Interessen der Anwohner nicht, nicht
einmal die des Bio-Pensionsbetriebes und die des landwirtschaftlichen
Bio-Betriebes zur Sprache. Nur die Beeinträchtigung der in dem direkt
angrenzenden FFH-Gebiet Werra-Wehretal lebenden Fledermäuse war
Diskussionspunkt. Frau Kahlert (Umweltingenieurin des Büros für
Ingenieurbiologie und Landschaftsplanung), selbst keine Fledermausexpertin,
machte dazu vor Gericht zwei Aussagen, die nicht den Aussagen des Verfassers des
Fledermauskundlichen Fachbeitrages entsprechen.
Ein zweiter nachgebesserter, äußerlich
mit dem ersten identischer, Fledermauskundlicher
Fachbeitrag von Bach und Rahmel GbR sorgte für einige Verwirrung bei den
Richtern des 4.Senats. Die Antwort auf die Frage an Frau Kahlert, ob ihr die
Fassung bekannt sei, wurde ihr von der vorsitzenden Richterin förmlich in den
Mund gelegt. Die in der ersten Ausfertigung noch angeführte Lärmbelästigung für
die Fledermäuse wurde in der zweiten Ausgabe wegen Kleinräumigkeit
ausgeschlossen. Die entscheidende Frage der Richterin, ob sie eine erhebliche
Beeinträchtigung der Fledermäuse ausschließen könne, wurde von Frau Kahlert
bejaht. Außerdem sagte sie aus, dass das FFH-Gebiet bezüglich
Verbreitungsgebiet und Populationsgröße durch die Verlärmung nicht betroffen
ist. Genau zu diesem Punkt hatte der Verfasser des Fledermauskundlichen
Fachbeitrags Herr Rahmel mangels Untersuchungen keine Aussagen gemacht. Die
beiden Aussagen von Frau Kahlert waren für den 4.Senat die
Entscheidungsgrundlage den Antrag der Kläger abzuweisen und die B-Planänderung
für rechtmäßig zu erklären.
Die zweite mündliche
Verhandlung behandelte die Klagen gegen die Genehmigung des Müllheizkraftwerkes.
Fa. SCA als Antragstellerin hat bisher keinen Antrag zum Weiterbetrieb bei
Ausfall der Abgasreinigung gestellt. Da SCA 4 Stunden benötigt, um das
Reservekraftwerk mit voller Leistung zu betreiben, wird dieser Antrag beim
Regierungspräsidium (RP) gestellt werden. Nach §16 der 17. BImSchV können
maximal 60 Jahresstunden genehmigt werden. Beim Ausfall der Rauchgasreinigung
verlassen beträchtliche Mengen Schadstoffe den Schornstein. Es wäre darum
erforderlich gewesen, dies vorher in der Immissionsprognose zu betrachten. Für
die Genehmigungsbehörde ist es ausreichend, wenn sie 6 Monate vor
Inbetriebnahme das Konzept einer Annahmekontrolle zur Prüfung vorgelegt
bekommt. Es ist sonderbar, dass in den Genehmigungsverfahren in Heringen und
Korbach die Störfallregelung und die Annahmekontrolle bereits beim Erörterungstermin
diskutiert wurden.
Beim Punkt Abscheidegrad der
Rauchgasreinigung wurde deutlich, dass die Antragstellerin von den Grenzwerten
der 17.BImSchV aus in umgekehrter Reihenfolge den Abscheidegrad ermittelt hat.
Die Rohgaswerte, die abhängig von dem Schadstoffinput sind, wurden
sonderbarerweise exakt als Halbstundenmittelwerte angegeben. Die Antragstellerin
hatte am ersten Erörterungstag Angaben zu Abfallschlüsselnummern, den
maximalen Schadstoffgehalten und den maximalen Heizwerten nachgereicht. Diese
Angaben hätten laut §4a der 9.BImSchV in den ausgelegten Unterlagen enthalten
sein müssen. Da die Abscheidegrade auf die Schadstoffgehalte der ursprünglich
ausgelegten Unterlagen berechnet waren, ließen sich die Grenzwerte bei den um
das drei- bis vierfach höheren nachgereichten Schadstoffgehalten nicht mehr
einhalten. Die Genehmigungsbehörde hat nach Vorlage dieser Unterlagen keine Prüfung
mehr vorgenommen. Sie stellte die Behauptung auf, dass die neuen maximalen
Schadstoffgehalte mit der vorgesehenen quasi-trockenen Rauchgasreinigung bis zum
Grenzwert abgereinigt würden. Hier wurde der Glaube in die Antragstellerin
vorausgesetzt. Die Schwermetall- und Dioxinmessung wird nach Ankündigung ab dem
2.Betriebsjahr nur einmal im Jahr durchgeführt. Beim Verweis der
Antragstellerin auf die niedrigen Abgaswerte der TEV Neumünster musste sie sich
von den Klägern anhören, dass
dort eine Vereinbarung besteht, bei Schwermetallen und Dioxinen weniger als 10%
des Grenzwertes einzuhalten. SCA verpflichtet sich lediglich die Grenzwerte der
17.BImSchV einzuhalten. Ein riesiger Unterschied, wenn man berücksichtigt, dass
eine bessere Schadstoffabscheidung höhere Kosten verursacht. Außerdem ist der
Abfallinput bei der TEV Neumünster durch eine Vereinbarung stark eingeschränkt;
auch dies ist somit nicht mit Witzenhausen zu vergleichen.
Von der Behörde wurden im
Problembereich der Halbstunden- und Tagesmittelwerte die Grenzwerte der
17.BImSchV bei 11% Bezugssauerstoffgehalt genehmigt. Im Jahresmittel dagegen
wurden einige bei einem
Bezugssauerstoff von 8% festgeschrieben. Mit dem niedrigen nach Jahresmittel
festgesetzten Abgasvolumenstrom erhält die Antragstellerin einen geringeren
Massenstrom, behält sich aber im Halbstunden- und Tagesmittel und bei
diskontinuierlichen Messungen höhere Massenkonzentrationen vor. Die Festsetzung
des Volumenstroms auf den Tagesmittelwert (Stundenmittelwert) nach TA Luft bei
Erstellung der Immissionsprognose wurde ebenso missachtet. Damit ist die
Immissionsprognose fehlerhaft. Der 2.Senat des VGH war bei diesem Punkt völlig
überfordert. Er verließ sich letztendlich auf die Aussagen des Regierungspräsidiums
und des Gutachters der Antragstellerin.
Die unterlassene Alternativenprüfung
führte zu strittigen Auffassungen bei den Rechtsanwälten.
Die gemäß Genehmigung noch als
überwachungsbedürftig eingestufte Asche aus Kessel und Multizyklon benötigt
nur noch eine Deklarationsanalyse nach der sie die Gefährlichkeitskriterien
unterschreitet, um als nicht überwachungsbedürftiger Abfall im Straßenbau
verwertet zu werden
Die Ablehnung der Anträge der
Kläger lässt den politischen Willen erkennen, dieses Vorhaben im Gelstertal zu
verwirklichen. Die Aussage eines Richters an die Pensionsinhaberin Frau
Hotze-Schäfer: „Sie sehen doch nur
ein Stück vom Schornstein“ entbehrt jeglichen Verständnisses. Dies lässt
ebenso die Aussage von Herrn Suritsch (Müller-BBM Erstellung der
Immissionsprognose) erkennen: „das geht im allgemeinen Lebensraumrisiko
unter“. Hieran wird deutlich, welche Bedeutung die Menschen im Gelstertal und
Witzenhausen und die Natur für die Antragstellerin SCA haben. Es geht hier nur
um billige Energie und darum den Wert des Betriebsgeländes zu steigern.
Welche Priorität das Vorhaben
im Dezernat 33 in der immissionsschutzrechtlichen Abteilung des RP besitzt, lässt
sich an der problemlosen Überprüfungs- und Genehmigungspraxis durch Herrn
Weber bei vorhergehenden Änderungen des Heizkraftwerkes und der Papiermaschine
erkennen.
Die abgewiesene Revision
verdeutlicht einmal mehr, wem in Nordhessen der Vorrang eingeräumt wird.
07.009.2007 |